„Fahrradgate“: Verfahren gegen Polizistin aus Leipzig wird ausgesetzt

Gegen die Leipziger Polizistin, die gestohlene Fahrräder aus der Asservatenkammer vertickt haben soll, wird der Prozess auf Eis gelegt. Ende Mai geht es nach einem Verteidigerwechsel bei null los.

Das Verfahren gegen eine Leipziger Polizistin vor dem Landgericht Leipzig wird ausgesetzt. Anke S. (47), die Schlüsselfigur im Fall „Fahrradgate“, muss sich auf eine Neuaufnahme zu einem späteren Zeitpunkt einstellen. Sie soll zwischen 2014 und 2018 illegal Fahrräder gegen Geld aus der polizeilichen Asservatenkammer weitergegeben haben.

Am 19. März war der Prozess gegen sie begonnen worden – die Anklage lautet auf Bestechlichkeit, Diebstahl, Urkundenfälschung und Verwahrungsbruch. Sie wird neu verlesen, Zeuginnen und Zeugen neu befragt werden müssen – am 28. Mai wird das Verfahren gegen Anke S. neu eröffnet. Wie kam es zu dieser Entscheidung? Der Prozess war kaum ins Rollen gekommen, als es eine unvorhersehbare Wendung gab. Verteidiger Thomas Morguet hatte wegen eines möglichen Interessenskonflikts überraschend das Handtuch geworfen – der Leipziger Rechtsanwalt Erik Bergmüller übernahm kurzfristig das Mandat.

Umfangreiche Aktenlage erfordert viel Einarbeitungszeit

Bergmüller, der seit 2017 zugelassener Rechtsanwalt und bei der Leipziger Kanzlei „Rabe Kirsche und Kollegen“ angestellt ist, hat mit der Übernahme des Mandats vor allem eine große Hürde auf sich geladen: Den Fall in seinen Dimensionen zu erfassen. Der Tatzeitraum umfasst vier Jahre, es geht um Hunderte Fahrräder und ihren Verbleib, zeitweise wurde in dem Komplex gegen knapp 200 Beschuldigte ermittelt.

„Einen richtigen Überblick habe ich noch nicht“, räumt er am Dienstag gegenüber der LVZ ein. Etwa 4000 Seiten Papierakte und zahlreiche zusätzliche Dateien gilt es zu durchdringen. „Wenn es heute direkt losgegangen wäre, hätte ich das nicht stemmen können“, erzählt der Jurist. „Aber ich nehme die Herausforderung gerne an.“ Von etwa sechs Wochen Vorbereitungszeit ging die Kammer um den Vorsitzenden Richter Rüdiger Harr aus, „um sich sinnvoll einarbeiten zu können.“

Fortsetzung nicht möglich – damit steigen auch die Kosten

Gesetzlich vorgesehen ist allerdings lediglich eine Unterbrechung von bis zu drei Wochen. Und dann steht da noch die Ferienzeit im Raum: „Sich kreuzende Jahresurlaube und bereits gebuchte Aufenthalte außerhalb Leipzigs machen eine sinnvolle Fortsetzung des Verfahrens nicht möglich“, erklärt Richter Harr. „Gebuchter Urlaub ist vom Gericht zu beachten, sodass wir nicht anders können.“

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft hat die Kammer nun zu prüfen, ob die durch die Aussetzung entstehenden Mehrkosten möglicherweise dem abgedankten Anwalt Thomas Morguet auferlegt werden sollten. Im Falle einer Verurteilung hätte sonst Anke S. die Kosten des Verfahrens zu tragen – inklusive der Summen, die für die bereits absolvierten und zu wiederholenden Prozesstage doppelt entstehen.

Berufliche Zukunft von S. bis Oktober ungewiss

Bislang wurde an drei Tagen verhandelt, bevor das Verfahren durch die Aussetzung in den Null-Zustand zurückversetzt wurde, „sodass wir dann immerhin nicht viel verloren haben“, erläutert Rüdiger Harr. Es sind 15 neue Termine angesetzt – bis Ende Oktober soll der neue Verhandlungszeitraum andauern. So lange bleibt für die Angeklagte insbesondere ihre berufliche Zukunft ungewiss: Im Falle von Bestechlichkeit reicht eine Verurteilung zu sechs Monaten Freiheitsstrafe aus und das Beamtenverhältnis endet mit Rechtskraft des Urteils automatisch.

In den Fällen der anderen ihr vorgeworfenen Tatbestände, wie Diebstahl, Verwahrungsbruch und Urkundenfälschung, ginge der Verlust der Beamtenstellung erst mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr automatisch einher. Davon unberührt bliebe eine disziplinarrechtliche Entscheidung.

Die Kammer zeigt sich Anke S. gegenüber aber aufgeschlossen: „Im Falle eines umfassenden Geständnisses könnte man von einem minder schweren Fall ausgehen“, ordnet der Vorsitzende ein. Statt einer Freiheitsstrafe stellte man am Dienstag eine nicht unerhebliche Geldstrafe als denkbar in Aussicht.

Welche Strafe Anke S. genau erwartet, wird sich im Oktober zeigen – wohl deutlich später, als sie zunächst erwartet hatte. „Natürlich belastet sie das auch, aber sie ist froh, dass sie erst mal Gewissheit hat“, berichtet Verteidiger Erik Bergmüller über den emotionalen Zustand seiner Mandantin. Zwar ziehe sich das Verfahren noch bis Ende Oktober, doch immerhin sei ein neuer Verteidiger bestellt und der Fortgang gesichert.


16.04.2024 Freie Presse

„Fahrradgate“-Prozess“ geplatzt: Neustart Ende Mai

Der „Fahrradgate“-Prozess um verkaufte Räder bei der Polizei Leipzig ist geplatzt. Nach einem Verteidigerwechsel beginnt die Verhandlung gegen die angeklagte Polizistin Ende Mai neu.

Leipzig.Die juristische Aufarbeitung des „Fahrradgate“-Skandals um den illegalen Weiterverkauf von sichergestellten Rädern bei der Polizei Leipzig zieht sich hin. Der Mitte März begonnene Prozess vor dem Landgericht Leipzig ist nach einem Wechsel der Verteidigung geplatzt. Grund sei, dass die Verhandlung nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Zeit fortgesetzt werden konnte, wie eine Gerichtssprecherin auf Anfrage am Dienstag sagte. Das Verfahren beginnt am 28. Mai komplett von vorn.

Der ursprüngliche Rechtsanwalt der 47 Jahre alten suspendierten Polizeihauptmeisterin hatte nach wenigen Verhandlungstagen das Mandat niedergelegt. Diesen Schritt hatte er damit begründet, dass er noch weitere Beschuldigte in dem Verfahren vertritt und somit ein Interessenkonflikt bestehen könnte. Inzwischen sei zwar ein neuer Rechtsanwalt gefunden, betonte die Gerichtssprecherin. Diesem müsse aber mehr Zeit zur Einarbeitung in den umfangreichen Fall gewährt werden.

Die Angeklagte muss sich wegen Diebstahls, Bestechlichkeit und Urkundenfälschung vor dem Landgericht verantworten. Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden wirft der damaligen Verantwortlichen in der Asservatenkammer vor, von August 2014 bis November 2018 mindestens 265 zum Teil hochwertige Fahrräder weitergegeben zu haben – überwiegend an Polizisten, auch von der Bereitschaftspolizei und dem Landeskriminalamt. Sie soll dafür meist eine „Spende“ von bis zu 50 Euro bekommen haben.

Die 47-Jährige hatte die Vorwürfe am zweiten Verhandlungstag zurückgewiesen. Sie habe keinerlei Geld für sich behalten oder sich persönlich bereichert, hatte sie über ihren damaligen Verteidiger erklären lassen. Sie habe alle Übergaben der Fahrräder protokolliert und die Spenden, die sie erhalten habe, an einen gemeinnützigen Verein abgeführt. Dieses Vorgehen sei auch stets mit den Vorgesetzten abgesprochen gewesen. Die Spenden hatte ein kleiner Gartenverein im Landkreis Leipzig erhalten, dessen Vorsitzender ihr Vater war.

Das Landgericht hat für den Prozess insgesamt 16 Termine bis Ende Oktober angesetzt.